Das Saarland. Eine Wiederentdeckung.

Auf der Beruser Höhe, beim Erwandern des dortigen Tafelweges, habe ich begonnen, das Saarland neu zu entdecken. Fast zehn Jahre war ich dem Saarland zwar verbunden, aber lebte meinen Alltag nicht mehr dort, sondern liebte ihn in Berlin. Inzwischen bin ich zurückgekehrt. Nicht in ein fremdes Land, aber in ein Land, was sich mir neu ergibt. Was sich verändert hat. Was sich verändert.

Ich nehme neue Wege in diesem Land. Ich habe neue Aufgaben. Ich lerne neue Leute kennen. Ich blicke neu auf diese Region.

Ich lerne das Saarland neu kennen.

Auf der Beruser Höhe, am dortigen Europa-Denkmal, das mit seinem schlichten „Waschbeton“-Stil den architektonischen Charme eines typischen und üblichen saarländischen Hausanbaus transportiert, streift mein Blick über deutsche Täler zu lothringischen Hügeln.

Und ich stelle fest: Was ich tatsächlich bei aller Internationalität in Berlin vermisst habe, ist die Grenznähe, dieses erlebbare Herz Europas, längst zusammengewachsen statt geteilt. Ich habe die Nähe der Grenzen und deren problemloses, ja selbstverständliches Passieren vermisst. Auf dem Tafelweg bei Berus oder auf dem Leidinger Grenzweg nur wenige Kilometer entfernt – auf dem die Foto-Aufnahme oben entstand – ist man sich oft nicht sicher, ob man gerade in Frankreich oder in Deutschland, im Saarland oder in Lothringen ist. Und es ist auch nicht wichtig. Hier und dort arbeiten, hier und dort wohnen, hier und dort einkaufen, hier und dort feiern, hier und dort wandern, schwimmen, Fußball spielen: Es ist so selbstverständlich geworden. Viel selbstverständlicher als an anderen Grenzen Deutschlands, vor allem im Osten. Und natürlich viel selbstverständlicher als noch vor einem halben Jahrhundert als ich geboren wurde. Genügend Alltagsprobleme sind noch zu bewältigen zwischen den Landesgrenzen von Lothringen, dem Saarland und Luxemburg. Sicherlich. Und doch ist die Grenznähe ein Reichtum, ein Vorteil. Was man dabei leicht vergisst: dieser Zustand der „Entgrenzung“ ist in anderen Regionen Europas oder der Welt völlig illusionär. Unvorstellbar.

Europa ist hier zu spüren. Nicht nur in Reden, Akten und Symbolen, sondern im Alltag. Das habe ich vermisst – in der internationalsten Stadt Deutschlands – achtzig Kilometer von der Grenze Polens entfernt.

Natürlich sind in Berlin die Grenzen zwischen Kulturen, zwischen Prägungen, zwischen Hintergründen, zwischen Speisekarten, zwischen Lebenswelten und manchmal sogar zwischen Religionen schnell zu überwinden. Manchmal liegt nur eine Straßenseite dazwischen oder auch nur eine Wohnungstür. Manchmal nur ein kurzes „Hallo“ oder ein längeres Gespräch. Und doch sind in Berlin diese unsichtbaren Grenzen, die Unterschiede immer noch auch Hindernisse, voller Missverständnisse und Vorurteile. Oder werden in böser Absicht dazu gemacht. So entstehen Nischen, von manchem Parallelwelten genannt. So entstehen Situationen, wo Internationalität in Wahrheit nur bedeutet, dass unterschiedliche Kulturen nebeneinander und nicht miteinander leben.

Vielleicht gibt die alte, klare Grenze in der Region an Saar und Mosel auch Halt und Sicherheit, um sich auf den anderen einzulassen, um ihn einladen zu können, um Völker guter Nachbarn geworden zu sein, mit einer gemeinsamen und einer eigenen Geschichte, mit einer gemeinsamen und einer eigenen Identität, mit einer gemeinsamen und einer eigenen Zukunft. Vielleicht ist das einfacher als die Berliner Situation, in der dann doch alle irgendwie zu Gast in einer Stadt sind – egal ob sie aus Schwaben oder Swasiland kommen.

Ich bin also wieder hier, im selbsternannten Herzen Europas. Und stelle fest:

Das Saarland, die saarländische Lebensart, das „Saarvoire vivre“, das „saarländische Gemüt“ funktionieren nur zusammen mit den überwundenen Grenzen und mit den bestehenden Grenzen zu und mit den Nachbarn im Westen. Das gilt nicht nur für die wirtschaftliche Zukunft dieses kleinen Landes. Das gilt nicht nur für viele politische Alltagsfragen und die großen politischen Fragen, die nur grenzüberschreitend, nur gemeinsam, nur multilateral zu klären sind. Das gilt aber eben auch und insbesondere für das, was man neudeutsch vielleicht den „Spirit“ der Region nennen würde.

Vielleicht würde es niemand härter treffen als die Saarländerinnen und Saarländer und ihre Nachbarn, wenn die historische Leistung der Einigung und des Friedens im Kern Europas sukzessive oder gar eruptiv zurückgedreht würde. Scheinbar ist sie gar so selbstverständlich geworden, dass die Gefahren einer Veränderung nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen werden. Wer Grenzkontrollen nie wirklich an den Grenzen seiner Heimat kennen gelernt hat, hat vielleicht auch keine Angst vor ihrer Wiedereinführung.

Wir sollten diese Angst aber haben. Egal ob in Berlin oder im Saarland. Das Trennen von gesellschaftlichen Gruppen oder von miteinander eng verbundenen Regionen würde die Welt, so wie wir sie jetzt kennen, dramatisch verschlechtern. Für alle.

Ich möchte in einem Saarland leben und das Saarland wird nur überleben, wenn die Zeiten von Hetze, Kriegsgelüsten, ungesunder Konkurrenzen, nationalistischer Verengung überwunden bleiben.

Ich möchte ein Berlin besuchen und ein Berlin wird nur überleben, wenn Stadtgesellschaften nicht weiter auseinanderdividiert werden und wenigstens ein friedliches Nebeneinander akzeptiert wird.

Ich möchte meinen Kindern eine Welt hinterlassen, in der die Maxime gilt: „Wir sind eine Welt: Alle Menschen sind gleich und jeder ist anders.“ 

Mit diesen Gedanken lasse ich meinen fast unbegrenzten Blick weiter über die lothringische Hügellandschaft und die saarländischen Täler streifen. Ich erfreue mich an einem Sonnentag, erfreue mich am „Ist“ und am „Hier und Jetzt“. Ich genieße das Unterwegssein zu Fuß entlang der grünen Grenzen. Und erfreue mich an den satten Farben, die die Natur in diesen Tagen vorhält. Ich spüre die Freiheit der klaren Atemluft. Ich fühle mich angenehm gesättigt, obwohl ich durstig werde. Ich fühle das saarländische „Geheischnis“ wieder, auch wenn sich mein Blick darauf verändert hat.

Ich entdecke gerade das Saarland wieder.

Und möchte es doch dabei in diesem Blog nicht belassen und meinen Blick nicht nur auf das „Hier“, sondern auch auf das „Anderswo“ richten. Denn beides funktioniert nur zusammen. Wer nur auf das „Hier“ blickt, wird es nie ganz verstehen. Wer nur auf das „Anderswo“ blickt auch nicht. Deshalb möchte ich meinen Thailand-Blog ergänzen um die „Saarlouiser Sidesteps“ – textliche Ausfallschritte sozusagen – die andere Themen als Thailand beleuchten: meine Heimat Saarland, meine langjährige Lebenswelt Berlin, andere Länder und Regionen, aber auch andere Themen, die mich beschäftigen. Lasst euch überraschen und lest gerne mit.

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