Warum China kein Schnupfen ist.

Oder:

Stabilität und Innovation – das Yin und Yang des modernen China

Drei Saar-Startups im Perlflussdelta – Ein Wirtschaftsreisebericht

„Schluss mit dem Gequatsche. In fünf Minuten wird gepitcht.“ Ziemlich unsanft unterbricht ein recht salopp gekleideter Chinese, der sich bis dahin im Hintergrund hielt, im Großraumbüro des Ping An Cloud Accelerator in Shenzhen die Präsentation seines europäischen Kollegen, der gerade unserer 16köpfigen deutschen Startup-Delegation den Aufbau des Ping An Imperiums nahebringen will.

Damit waren im Nu drei Dinge auf einmal geklärt: nämlich, wer im Großraumbüro des Accelerators das Sagen hat, dass es in China ziemlich dynamisch und zeitkritisch zugeht und wie selbstverständlich es für Chinesen ist, dass auch deutsche Startups wissen: Die Ping An Gruppe ist eines der zehn größten Unternehmen der Welt, weltgrößter Versicherungskonzern und der Ping An Accelerator einer der potentesten venture-capital-Adressen im Reich der Mitte und weit darüber hinaus.

Umso reizvoller ist es für die Delegationsmitglieder, hier zu pitchen. Startup-World League sozusagen. Ein echtes Highlight der einwöchigen Reise, die von der Deutschen Messe Hannover und der AHK Guangzhou organisiert wurde. Auf Initiative von Wirtschaftsstaatssekretär Jürgen Barke und mit Unterstützung und Begleitung von Saaris sind gleich drei Saarländer unter den 16 deutschlandweit ausgewählten Founder: André Rinau von Mondata, ein Saarbrücker Startup für IT-Beratung und Entwicklung, ist dabei. Matthias Schmitz repräsentiert K-Lens, den Gewinner des Startup Award der Photokina 2018 aus dem Saarland. Und Tim Vollmer sucht für sein Startup 2log.io aus dem IT-Inkubator der Universität des Saarlandes Kooperations- und Produktionspartner in China. Für alle drei ist es der erste intensive Kontakt vor Ort zum chinesischen Markt. Und alle drei werden am Ende der Woche ein positives Fazit ziehen.

Unterwegs im Ballungsraum Perlflussdelta zwischen Shenzhen, Guangzhou und Foshan.

Doch zuvor gilt es, neben dem Pitch in Shenzhen weitere drei Pitches in der Tec-Region am Perlflussdelta, ein großes Matchmaking in Guiyang (Provinz Guizhou) und die Präsenz bei der Cebit China in Foshan zu stemmen – inklusive knapp 2.000 Reisekilometer innerhalb Chinas. Dabei ist das Reisen mit dem Hochgeschwindigkeitszug noch der entspannteste Teil des Trips. Kein Wunder: auch in Sachen Transport und Logistik ist China inzwischen auf Weltniveau. Aber nicht nur. Vorbei sind die Zeiten, in denen hier nur kopiert und billig produziert wurde. China ist ein dynamischer Innovationsstandort geworden und längst nicht mehr nur als verlängerte Werkbank an internationalen Wertschöpfungsketten beteiligt.

Für deutsche Startups und Unternehmen ist ein Umdenken angesagt. Die „Goldgräberzeit“ unmittelbar nach den Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping, als man ein in Deutschland geflopptes Pkw-Modell in China zum Verkaufsschlager machen konnte, ist Geschichte. Auch der China-Hype deutscher Unternehmen zum Anfang des Jahrtausends fand – letztlich durch die Finanzkrise 2008 – ein jähes Ende.

Die Rahmenbedingungen in China haben sich seitdem fundamental geändert. China „is thinking big“. Und tut es vor allem auch. Mit einer klaren Strategie in Peking und einer Vielzahl von daran ausgerichteten Projekten in den Regionen hat sich China in Rekordzeit gewandelt. Ausgestattet mit Eigenkapital bei Staat und Unternehmen. Mit dem unbedingten Willen zum Erfolg, aber auch mit einem brutalen Erfolgsdruck auf die Verantwortlichen und die Mitwirkenden in Staat und Wirtschaft von oben nach unten. Aber dennoch mit der Grundhaltung, einfach loszulegen, Projekte in Rekordzeit voranzutreiben und dabei trotz des Drucks auch Flops riskieren zu dürfen, über die dann beredt geschwiegen werden kann. China litt lange unter seiner Größe. Innerhalb einer Dekade hat es diese jedoch zumindest ökonomisch zu einer Stärke gedreht.

Die KP ist immer dabei: Lobby der Royole-Zentrale.

Und: China ist kein Schnupfen. China geht nicht mehr weg. China wird seine immense Marktmacht nicht mehr verlieren, unabhängig von temporär sinkenden Wachstumszahlen oder dem anhaltenden Handelsstreit mit den USA. Chinas politische Stabilität sollte, trotz der Lage in Hongkong und trotz der internationalen Kritik am Umgang mit Uiguren, Hui und anderen ethnischen Gruppen, nicht unterschätzt werden.

Denn nichts wird in China bei Regierung, Unternehmen wie Arbeitnehmern mehr gefürchtet als „Luan“, der Zustand des Chaos, das China von der Mitte des 19. bis weit ins 20. Jahrhundert mehr als eine Ära lang geprägt hat. In der DNA der Chinesen sind die Erfahrungen mit dem kriegerischen Imperialismus des Westens und der Japaner, die Schwäche des eigenen Systems zum Ende des Kaiserreiches aber auch die blutigen Bürgerkriege und die zerstörerische sogenannte Kulturrevolution fest verankert. „Nie wieder schwach, nie wieder uneinig – auch um den Preis von Freiheitsrechten, die im Westen selbstverständlich sind.“  Dieses Credo der Stabilität hört man vielfach. Und zwar nicht nur von KP-Funktionären. Sondern auch von Chinesen, die von der allgemeinen Reisefreiheit profitieren, die unternehmerisch tätig sind oder die im Ausland studiert haben, aber bewusst und selbstbestimmt nach China zurückkehrten, um dort innovativ und erfolgreich zu sein. Beim Besuch des Technologiekonzern Royole zum Beispiel, treffen wir die Marketing-Chefin, die vor zwei Jahren – nach Studium und ersten Berufserfolgen im Silicon Valley – in ihre chinesische Heimat zurückkehrte, um hier mitzuwachsen. „Stabilität schafft den Raum für Innovation“, so ihr Fazit pro China. Auch wenn die Regierung bisweilen bei der unbedingten Wahrung dieser Stabilität weit übers Ziel hinausschießt.

Und tatsächlich: was in den letzten Jahren etwa im einst bescheidenen und abgelegenen Provinzstädtchen Guiyang – mit inzwischen fast 5 Millionen Einwohnern – wirtschaftlich bewegt wurde, ist für europäische Dimensionen gigantisch: Automotive, Roboting, Game Industry und weitere Branchen haben sich hier angesiedelt. Und wer vermutet, dass diese Entwicklung noch immer auf dem Rücken tausender chinesischer Arbeitnehmer ausgetragen wird, sieht sich in den Produktionshallen der „green factory“ Guiyang des Automobilhersteller Geely, zu dem inzwischen auch Volvo gehört, eines Besseren belehrt. Hier finden sich modernste Arbeitsbedingungen und längst werden die einst körperlich schwer fordernden Tätigkeiten von Robotern erledigt. Denn auch im 1,3-Milliarden-Land China herrscht – nicht zuletzt aufgrund der früheren 1-Kind-Politik – inzwischen Fachkräftemangel. Die Löhne steigen, die Arbeitsbedingungen werden optimiert – zumindest in den Ballungszentren, in den anspruchsvollen Werken und Laboren. Hier arbeitet der neue, gutverdienende Mittelstand – das Rückgrat der chinesischen Wirtschaft, genauer gesagt der anhaltend hohen Binnenkonjunktur, die auch für deutsche Exporterfolge sorgt.  Sie ist die Basis, auf der China mit dynamischer Innovationsförderung und der unvergleichbaren Internationalisierungsoffensive seiner „Belt- und Roadpolitik“ endgültig zu dem Global Player neben den USA und der EU aufgestiegen ist.

Diesen strukturellen Veränderungen von Handelswegen und internationalen Märkten muss sich auch das Exportland Saarland stellen. China und seine Strategie zu ignorieren, ist dabei kein wirklich gangbarer Weg. Das haben auch die drei Startups gelernt. Tim Vollmer hat in der China-Woche seinen lange gesuchten Zulieferer für eine Komponente seiner Shared-Infrastructure-Hardware gefunden.  André Rinau ist sich jetzt sicher, dass es für seine Dienstleistung einen Markt in China gibt und sucht, mit Unterstützung der Kollegen der AHK Guangzhou, die er vor Ort persönlich kennenlernen konnte, nach dem richtigen Weg für einen Markteintritt im Reich der Mitte. Und Matthias Schmitz profitiert immens von seinen chinesischen Pitch-Erfahrungen bei der aktuellen Suche nach venture capital. Und keiner von den Dreien hatte bei all den Kontakten den Eindruck, es mit übergriffigen, unfairen oder aufs schnelle Kopieren orientierten Gesprächspartnern zu tun gehabt zu haben. China ist anders, ohne Frage. Aber wer zusammen wirtschaftlichen Erfolg haben will, der darf zwar nicht blauäugig, aber auch nicht voller Vorurteile einer fremden Wirtschaftskultur begegnen. Die chinesische Dynamik, die ökonomische Risikobereitschaft, der politische Stabilitätsglaube und die finanzielle Potenz mögen bisweilen irritierend sein. Aber sie bieten am Ende mehr Chancen als Risiken – auch für saarländische Unternehmen.

China wird sich uns Europäern dennoch nie vollständig enträtseln. Die lange Zugfahrt durch die Provinz – vom Ballungsgebiet Perlflussdelta mit seinen unendlichen Hafen-, Industrie-, Gewerbe- und Wohnanlagen ins aufstrebende Guiyang – führte die Delegation durch eine Region, die von kleinen Dörfern mit den immer gleich aussehende Backsteinhäuschen und kleinen Landwirtschaftsbetrieben geprägt ist. Eine andere Welt. Jenseits der Städte. Sehr traditionell. Sehr arm. Sehr alt. China wird daher auch deshalb immer ein Rätsel bleiben, weil es das eine China gar nicht gibt. Sondern viele ganz unterschiedliche. Aber es ist und bleibt ein spannendes Rätsel, bei dem man mitmachen und nicht nur zuschauen sollte, wie andere es für sich lösen.    

Downtown Shenzhen by night.

Der Artikel ist in gekürzter Fassung auch in Saaris-Impuls, Ausgabe 1 – 2020 erschienen:

Drei Saar-Startups im Perlflussdelta – ein Wirtschaftsreisebericht

Über die Chinesen und Thailand habe ich übrigens hier etwas geschrieben:

Mehr als Minderheit: Chinesen in Thailand

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